Mittwoch, 3. Oktober 2018

Herbst im Siegerland zur Kinderzeit


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Herbstbunt in Siegen am Rosterberghang. (Alle Fotos: (c) presseweller)


Kastanien sammeln, Erntedank und Drachen steigen lassen



3. Oktober. Siegen. Wenn sich mit dem Oktober die Wälder nach und nach verfärben und in den Gärten nach der Ernte „aufgeräumt“ wird, dann ist das eine besondere Zeit. Das war für uns Kinder auch in den 1950er-Jahren so. Die Luft ist kühler als im Hochsommer, und teils gibt es bereits Bodenfrost. Neben hin und wieder windigem Wetter und Regen sind es die Sonnentage, die dieser Jahreszeit zu ihrem Glanz verhelfen, in den „goldenen Herbst“ eintauchen lassen, der die Natur in einen Rausch der Farben versetzt.

Die früher einsetzende Dunkelheit bedeutet „kürzere“ Tage fürs Spielen im Freien. Zu unserer Kindheit galt noch die normale“, die „richtige“ kalendarische Zeit, nach der sich die Natur ausrichtet. Mit Uhr umstellen sowie der „Sommer-“ und der fälschlich „Winterzeit“ genannten Periode hatten wir nichts am Hut, bevor die Politik „an der Zeit gedreht“ hatte. Heute sagen viele „wat for e Blödsinn“. Nun, vielleicht wird es irgendwann wieder geändert. Die EU hatte vor wenigen Wochen die völlig unrepräsentative Umfrage gestartet. Die Mehrheit der Teilnehmer hatte sich dafür ausgesprochen, die Zeitumstellung abzuschaffen.



Doffeln (Kartoffeln) eingekellert, herbstlicher Schmuck mit Kürbis. 


Danke für die Ernte
Nach der Ernte, wenn Obst, Gemüse und die Feldfrüchte eingebracht sind und Stoppelfelder zurückbleiben, gilt es „danke für die Ernte“ zu sagen. Das gilt nicht nur für bäuerliche Betriebe, sondern für alle. Schließlich tragen die Produkte zu unser aller Versorgung bei. Jahr für Jahr kellerten wir einige Zentner Kartoffeln ein. Das Erntedankfest wird Anfang Oktober gefeiert, oft am 1. Oktobersonntag. Es gibt verschiedene Termine. Auf jeden Fall besuchten wir und Nachbarkinder mit den Eltern zum Fest das Gemeindehaus oder die Kirche. Der Altarraum war mit Ähren und Früchten festlich geschmückt, so wie es heute ebenfalls noch oft ist. Schön. Auf manchen Dörfern gab es auch geschmückte Erntewagen und mehr. Kurz: Das Erntedankfest war für uns ein besonderer Tag!

Gemütliche Zeit trotz der Zeugnisse
Die frühe Dämmerung ließ uns bereits an die Weihnachtszeit erinnern: Lange kann es nicht mehr dauern. Der Martinstag mit Laternenumzügen lieferte bereits eine gute Einstimmung. Wir sangen „St. Martin ist ein guter Mann, ...“ und andere. In der Straße fanden sich auch vor diesem Tag "Laternen-Kinder" zusammen. Die einen hatten einen „Mond“, die anderen die klassischen zylinderförmigen Laternen mit den Falten und in unterschiedlichsten Farben von Gelb und Rot bis Hellblau. Wir sangen „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne ...“ und klingelten an mancher Haustüre in der Hoffnung auf ein kleines Extra, ein paar Bonbons, etwas Schokolade oder einen Groschen. Für dieses Zehn-Pfennig-Stück konnten wir früher sogar noch etwas kaufen, zum Beispiel einen Lutscher. Ob man das mit einem Fünf-Cent-Stück auch kann, sei einmal dahingestellt. So mancher sagte heute „Fröaer bekoomst de noch wat ford Geld“ (Früher bekamst du noch was fürs Geld).

Die Schulkinder hatten Herbst- oder Kartoffelferien. Aber nicht nur das. Vor den Ferien gab es die Zwischenzeugnisse, „Giftblätter“. Da konnte es zu Hause hier und da auch Knatsch geben oder zumindest die Ermahnung: „Itz mosst de dech moa op dn Hoerseboarem setze“ (Jetzt musst du dich mal auf den Hosenboden setzen), kurz, „du musst dich nach den Ferien mehr anstrengen!“ Andere hatten gute, die meisten hatten durchschnittliche Zeugnisse, was sich in Lob oder Zufriedenheit ausdrückte. In unseren Kreisen gab es für gute Zeugnisse kein Geld, wie es heute oft anders üblich ist.
Abgesehen vom Laternenrundgang, bei dem teils auch die Mütter mitgingen, mussten wir vor der Dunkelheit zu Hause sein. In unserer Straße am Siegener Rosterberg sorgten die Gaslaternen, die jeden Abend von einem zuständigen Mitarbeiter der Gaswerke oder Stadt bedient wurden, für ein angenehmes dunkel-gelbes Licht. Zu Hause war der Herd oder der Ofen „gestocht“ (in Betrieb) und sorgte für wohlige Wärme. Dafür mussten vorher genug Kohle, Briketts und Holz eingetan werden. Wir trugen das Heizmaterial in Eimern in den Keller oder bis ans Kellerfenster. Heizungen gab es in unserer Straße noch kaum.
Wie wir hatten viele noch keinen Fernseher. Wir hörten an Herbst- und Winterabenden noch Hörspiele am Radio, spielten oder sangen zusammen und gingen für heutige Verhältnisse früh zu Bett. Wenn die Zeit rückte, hieß es „Itz awwer ab eed Bedde“ (Jetzt aber ab ins Bett).



Fleißig gebaut, der Schwarz-Rot-Gold-Drachen.  



Wenn die Drachen steigen
Das Siegerland mit seinen vielen Tälern und Höhen, bot uns auf
den Hügeln viele freie Flächen. Für uns war das oben am Rosterberg die Radschläfe, die damals noch nicht bebaut und damit ein willkommenes Gelände fürs Fußballspiel und im Herbst fürs Drachensteigen war. „Mr wonn moa enn schöarne Drache baue“ (wir wollen mal einen schönen Drachen bauen). Die Väter hatten, teils mit den Kindern zusammen, Drachen gebaut – aus Holzleisten, buntem pergamentartigem Papier, mit langen „Schwänzen“ und Schnur zum „Ausfahren“. Die verschobene Vierecksform war – neben einigen anderen Formaten – üblich. Damit ging es dann auf die „Schläfe“. Meist waren wir zu mehreren. Dann ging es je nach Wind los. Die Drachen wanden sich in die Höhe. Wir mussten Seil „zugeben“ oder je nach Wind wieder einholen. Wenn wir es noch nicht richtig konnten, halfen die Väter oder Mütter nach und zeigten uns, wie es geht. Abstürze waren aber dennoch nicht ausgeschlossen. Für uns Kinder waren das erlebnisreiche, rundum gute Tage. In heutiger Zeit sehen wir zur Herbstzeit oft auf dem Wiesengelände am Giersberg und in Wilden viele bunte Drachen in verschiedenen Formen am Himmel: schön und an unsere Kindheit erinnernd.



Aus den glänzenden Kastanien bauten wir Männchen. 


Bunte Wälder und Kastanien
Noch während die Äpfel und Birnen zu Ende reiften, hingen auch die Kastanien mit ihrem stacheligen grünen Außengehäuse an den Bäumen. Manche waren schon auf der Erde gefallen und „geplatzt“. Da lagen sie vor uns, die einfach schönen glänzend-braunen Kastanien, die wir zum Beispiel auf dem Eintrachtgelände in Siegen fanden. Unten auf der „Eintracht“ steht heute die Siegerlandhalle. Wir trugen die Kastanien nach Hause. Dienten sie einerseits zur herbstlichen Dekoration, bastelten wir mit Mutter, älteren Geschwistern oder allein Männchen und anderes daraus. Dazu brauchten wir dünne Holzstücke. Streichhölzer waren ideal. Der rote „Feuerkopf“ war vorher entfernt worden. Jeder kann sich vorstellen, dass so die Abende nicht langweilig wurden. Das alles, von den Drachen bis zu den Kastanien, war auch viele Jahre später so, als wir selbst Eltern waren. So schließen sich doch schlussendlich nicht die Erfahrungen, Erkundungen und der Lebenskreis, sondern vieles wird von Generation zu Generation weitergetragen und lebt fort, wenn teils auch in anderer Form.


Herbststimmung im Siegtal bei Nenkersdorf. 


Es ist nicht überall so, aber bei uns im Siegerland mit den Haubergen, Nieder-, Misch- und Nadelwäldern ist es so, dass sich Wälder und Landschaften im Herbst in einem wahren Farbrausch zeigen. So kennen wir es seit der Kindheit, und es ist bis heute so. Nein, wir brauchen nicht die sicher ebenfalls schönen Bilder aus anderen Regionen und vielen Teilen der Welt, wir haben sie vor der Haustüre. Es ist ein magisches Farbenspiel aus Grün, Rot, Braun und Gelb, dass an allen Ecken zu sehen ist. Und natürlich zeigen sich alle Farben in immer wieder anderen Nuancen, Einfärbungen. Eine bunte Wunderwelt, die uns die Natur seit jeher – und sicher immer weiter – bietet! Faszinierend.

„Mr sinn gern Sejerlänner“ sae veele. Joah, häst räächt.“ (Wir sind gern Siegerländer, sagen viele. Ja, du hast recht.)  Georg Hainer

Hinweise: Fotos aus verschiedenen Jahren. Örtlichkeiten können sich verändert haben. Irrtum bleibt zu allen Darstellungen stets vorbehalten. Es gibt eine große Auswahl an Herbstfotos aus dem Siegerland und anderen Regionen. Bei Interesse bitte bei Buch-Juwel oder Presseweller anfragen.

Autor Georg Hainer: Georg Hainer hat die Texte zu den Siegerland-Büchlein des Verlags verfasst sowie zig Geschichten, Gedichte und Beiträge zum Siegerland. 

Verlag Buch-Juwel: Der Siegener Verlag gibt im kommerziellen Bereich Heimatbücher heraus sowie Poster. Nicht kommerziell sind die verschiedenen Blogs, Magazine und Beiträge, die ohne Anmeldung über die Internet-Seite www.buch-juwel.de aufgerufen und frei gelesen werden können.  Das gilt auch für die Mundartseiten mit zahlreichen Begriffen, einschließlich kurzen Übersetzungen und Erläuterungen.