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Kastanien sammeln, Erntedank und Drachen steigen lassen
3. Oktober. Siegen.
Wenn sich mit dem Oktober die Wälder nach und nach verfärben und
in den Gärten nach der Ernte „aufgeräumt“ wird, dann ist das
eine besondere Zeit. Das war für uns Kinder auch in den
1950er-Jahren so. Die Luft ist kühler als im
Hochsommer, und teils gibt es bereits
Bodenfrost. Neben hin und wieder windigem Wetter und Regen
sind es die Sonnentage, die dieser Jahreszeit zu ihrem Glanz
verhelfen, in den „goldenen Herbst“ eintauchen lassen, der die
Natur in einen Rausch der Farben versetzt.
Die früher
einsetzende Dunkelheit bedeutet „kürzere“ Tage fürs Spielen im
Freien. Zu unserer Kindheit galt noch die normale“, die „richtige“
kalendarische Zeit, nach der sich die Natur ausrichtet. Mit Uhr
umstellen sowie der „Sommer-“ und der fälschlich „Winterzeit“
genannten Periode hatten wir nichts am Hut, bevor die Politik „an
der Zeit gedreht“ hatte. Heute sagen viele „wat for e Blödsinn“.
Nun, vielleicht wird es irgendwann wieder geändert. Die EU hatte vor
wenigen Wochen die völlig unrepräsentative Umfrage gestartet. Die
Mehrheit der Teilnehmer hatte sich dafür ausgesprochen, die
Zeitumstellung abzuschaffen.
Doffeln (Kartoffeln) eingekellert, herbstlicher Schmuck mit Kürbis.
Danke für die
Ernte
Nach der Ernte, wenn
Obst, Gemüse und die Feldfrüchte eingebracht sind und Stoppelfelder
zurückbleiben, gilt es „danke für die Ernte“ zu sagen. Das gilt
nicht nur für bäuerliche Betriebe, sondern für alle. Schließlich
tragen die Produkte zu unser aller Versorgung bei. Jahr für Jahr
kellerten wir einige Zentner Kartoffeln ein. Das Erntedankfest wird
Anfang Oktober gefeiert, oft am 1. Oktobersonntag. Es gibt
verschiedene Termine. Auf jeden Fall besuchten wir und Nachbarkinder
mit den Eltern zum Fest das Gemeindehaus oder die Kirche. Der
Altarraum war mit Ähren und Früchten festlich geschmückt, so wie
es heute ebenfalls noch oft ist. Schön. Auf manchen Dörfern gab es
auch geschmückte Erntewagen und mehr. Kurz: Das Erntedankfest war
für uns ein besonderer Tag!
Gemütliche Zeit
trotz der Zeugnisse
Die frühe Dämmerung
ließ uns bereits an die Weihnachtszeit erinnern: Lange kann es nicht
mehr dauern. Der Martinstag mit Laternenumzügen lieferte bereits
eine gute Einstimmung. Wir sangen „St. Martin ist ein guter Mann,
...“ und andere. In der Straße fanden sich auch vor diesem Tag "Laternen-Kinder" zusammen. Die einen hatten einen „Mond“, die anderen die
klassischen zylinderförmigen Laternen mit den Falten und in
unterschiedlichsten Farben von Gelb und Rot bis Hellblau. Wir sangen
„Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne ...“ und klingelten an
mancher Haustüre in der Hoffnung auf ein kleines Extra, ein paar
Bonbons, etwas Schokolade oder einen Groschen. Für dieses
Zehn-Pfennig-Stück konnten wir früher sogar noch etwas kaufen, zum
Beispiel einen Lutscher. Ob man das mit einem Fünf-Cent-Stück auch
kann, sei einmal dahingestellt. So mancher sagte heute „Fröaer
bekoomst de noch wat ford Geld“ (Früher bekamst du noch was
fürs Geld).
Die Schulkinder
hatten Herbst- oder Kartoffelferien. Aber nicht nur das. Vor den
Ferien gab es die Zwischenzeugnisse, „Giftblätter“. Da konnte es
zu Hause hier und da auch Knatsch geben oder zumindest die Ermahnung:
„Itz mosst de dech moa op dn Hoerseboarem setze“ (Jetzt musst du
dich mal auf den Hosenboden setzen), kurz, „du musst dich nach den
Ferien mehr anstrengen!“ Andere hatten gute, die meisten hatten
durchschnittliche Zeugnisse, was sich in Lob oder Zufriedenheit
ausdrückte. In unseren Kreisen gab es für gute Zeugnisse kein Geld,
wie es heute oft anders üblich ist.
Abgesehen vom
Laternenrundgang, bei dem teils auch die Mütter mitgingen, mussten
wir vor der Dunkelheit zu Hause sein. In unserer Straße am Siegener Rosterberg sorgten die Gaslaternen, die jeden Abend von einem
zuständigen Mitarbeiter der Gaswerke oder Stadt bedient wurden, für
ein angenehmes dunkel-gelbes Licht. Zu Hause war der Herd oder der
Ofen „gestocht“ (in Betrieb) und sorgte für wohlige Wärme.
Dafür mussten vorher genug Kohle, Briketts und Holz eingetan werden.
Wir trugen das Heizmaterial in Eimern in den Keller oder bis ans
Kellerfenster. Heizungen gab es in unserer Straße noch kaum.
Wie wir hatten viele
noch keinen Fernseher. Wir hörten an Herbst- und Winterabenden noch
Hörspiele am Radio, spielten oder sangen zusammen und gingen für
heutige Verhältnisse früh zu Bett. Wenn die Zeit rückte, hieß es
„Itz awwer ab eed Bedde“ (Jetzt aber ab ins Bett).
Fleißig gebaut, der Schwarz-Rot-Gold-Drachen.
Wenn die Drachen
steigen
Das Siegerland mit
seinen vielen Tälern und Höhen, bot uns auf
Aus den glänzenden Kastanien bauten wir Männchen.
Bunte Wälder und
Kastanien
Noch während die
Äpfel und Birnen zu Ende reiften, hingen auch die Kastanien mit
ihrem stacheligen grünen Außengehäuse an den Bäumen. Manche waren
schon auf der Erde gefallen und „geplatzt“. Da lagen sie vor
uns, die einfach schönen glänzend-braunen Kastanien, die wir zum
Beispiel auf dem Eintrachtgelände in Siegen fanden. Unten auf der
„Eintracht“ steht heute die Siegerlandhalle. Wir trugen die
Kastanien nach Hause. Dienten sie einerseits zur herbstlichen
Dekoration, bastelten wir mit Mutter, älteren Geschwistern oder
allein Männchen und anderes daraus. Dazu brauchten wir dünne
Holzstücke. Streichhölzer waren ideal. Der rote „Feuerkopf“ war
vorher entfernt worden. Jeder kann sich vorstellen, dass so die
Abende nicht langweilig wurden. Das alles, von den Drachen bis zu den
Kastanien, war auch viele Jahre später so, als wir selbst Eltern
waren. So schließen sich doch schlussendlich nicht die Erfahrungen,
Erkundungen und der Lebenskreis, sondern vieles wird von Generation
zu Generation weitergetragen und lebt fort, wenn teils auch in anderer
Form.
Herbststimmung im Siegtal bei Nenkersdorf.
Es ist nicht überall
so, aber bei uns im Siegerland mit den Haubergen, Nieder-, Misch- und
Nadelwäldern ist es so, dass sich Wälder und Landschaften im
Herbst in einem wahren Farbrausch zeigen. So kennen wir es seit der
Kindheit, und es ist bis heute so. Nein, wir brauchen nicht die
sicher ebenfalls schönen Bilder aus anderen Regionen und vielen
Teilen der Welt, wir haben sie vor der Haustüre. Es ist ein
magisches Farbenspiel aus Grün, Rot, Braun und Gelb, dass an allen
Ecken zu sehen ist. Und natürlich zeigen sich alle Farben in immer
wieder anderen Nuancen, Einfärbungen. Eine bunte Wunderwelt, die uns
die Natur seit jeher – und sicher immer weiter – bietet!
Faszinierend.
„Mr sinn gern Sejerlänner“ sae veele. Joah, häst
räächt.“ (Wir sind gern Siegerländer, sagen viele. Ja, du hast
recht.) Georg Hainer
Hinweise: Fotos aus verschiedenen Jahren. Örtlichkeiten können sich verändert haben. Irrtum bleibt zu allen Darstellungen stets vorbehalten. Es gibt eine große Auswahl an Herbstfotos aus dem Siegerland und anderen Regionen. Bei Interesse bitte bei Buch-Juwel oder Presseweller anfragen.
Autor Georg Hainer: Georg Hainer hat die Texte zu den Siegerland-Büchlein des Verlags verfasst sowie zig Geschichten, Gedichte und Beiträge zum Siegerland.
Verlag Buch-Juwel: Der Siegener Verlag gibt im kommerziellen Bereich Heimatbücher heraus sowie Poster. Nicht kommerziell sind die verschiedenen Blogs, Magazine und Beiträge, die ohne Anmeldung über die Internet-Seite www.buch-juwel.de aufgerufen und frei gelesen werden können. Das gilt auch für die Mundartseiten mit zahlreichen Begriffen, einschließlich kurzen Übersetzungen und Erläuterungen.